The Slags – Das Tourtagebuch - CH-Wolhusen, 12. Januar 1996

Wir fahren in die Schweiz, und zwar mit Steve und Turtle Rent, nicht mit Carsten unserem sonstigen Leibeigenen. Das Wetter ist super, klasse, blauer Himmel, hell, die Sonne scheint. Die Stimmung ist auch gut, vor allem nach dem klasse Gig am 29. Dezember 1995 in Pforzheim. Pforzheim war ausverkauft. Ausverkauft – das klingt doch geil, oder? Es standen echt Leute vor´m Club, die nicht mehr reinkamen.

Die Grenze ist schnell erreicht. Das übliche Piece-Verstecken setzt ein. Pässe raus. Wir haben wir kein Canais, aber es geht auch so. Augen klimpern, tja, mein Name ist Carsten Eckermann, ich bin mit einer Band unterwegs. Also, so ähnlich. Da es aber Steve und nicht Carsten ist, muss dieser erst den Laderaum öffnen, bevor hier klar wird, dass wir Abba sind und zum Konzert wollen, und sonst nix. Besonders hoch sind die Berge hier nicht, bisschen Schnee liegt noch, aber ansonsten ist die Natur eher mild gehalten hier, auch nicht sehr touristisch. Ein Dorf nach Willisau ist Wolhusen. Wir sind da. Ein turnhallenartiges Gebilde soll der Club sein, so mit Schwingboden, bunten Lichtern, geschäftigen Jugendlichen. Und eine rechtschaffen schreckliche Band macht bereits Soundcheck, was auch noch weitere zwei Stunden so bleiben soll. Die Lemonbabies hätten hier auch spielen sollen, erfahren wir erst vom Plakat. Sie spielen aber nicht, da die Schlagzeugerin gerade einen Hörsturz hatte. Scheiße, so was. Wäre interessant und vielleicht auch ganz lustig geworden, so im Direktvergleich.

Also, diese komische Gala-Combo soundcheckt immer noch. Und hat tatsächlich an der Garderobentür, welche wir uns teilen, also die Garderobe, ein Schild „no smoking“ angebracht, woraufhin selbst Anja, d i e Anja, als militanter Nichtraucher mit dem Veranstalter fast einen Streit vom Zaun bricht, dass wir halt rauchen würden und dass das so nicht geht. Er solle sich halt was einfallen lassen. Na ja, und so geht es hin und her. Wir rauchen, schon aus Protest, und damit ist das große Lästerspiel eröffnet. Auf dem Weg ins Hotel, es ist schon dunkel, kommen wir vorbei am Marktplatz der Stadt. Hunderte von Menschen in Faschingsklamotten, eine Blaskapelle spielt „Du musst ein Schwein sein“ und andere Prinzen-Rollen-Perlen, klingt super, blechern, und alles mutet sowieso ganz unheimlich an, da es nämlich völlig dunkel ist. Faschingsbeginn im Finstern. Und unser Hotel liegt direkt gegenüber. Schöne Aussicht. Wir essen Fitnessteller. Anja und ich ziehen uns „Aktenzeichen XY ungelöst“ rein, mit Ede Zimmermann, Ganoven-Ede, über den Lüde ja mal eines seiner schönsten Lieder geschrieben hat: „Ich bin berühmt seit letzte Nacht, denn ich hab Ede Zimmermann umgebracht!“. Köstlich. Also, gut gebrieft dackeln wir zum Club.

Die erste Gala-Gombo ist schon gleich fertig., gruselig. Wir haben uns wohl verirrt. Weihnachtsfeier der Volksbank, oder so was. Die andere Gala-Combo sitzt nicht-rauchend in unserer Garderobe und macht ´n TV-Interview. Da halten wir uns doch lieber oben im Gedränge auf und warten, bis die endlich spielen, dann haben wir den Raum für uns. So kommt es.

Onni hat ständig die Video-Camera vor´m Auge. Backstage-Szenen einer Band-Ehe. Wir schmeissen uns wieder weg über Set-Listen mit eingetragenen Zwischenansagen, Hairstyling-Produkte auf dem Tisch und lauter eben so peinliche Utensilien. Wir kommen bestimmt wieder nicht in den Musiker-Himmel. Oder uns fällt nachher irgendwas auf den Kopf und wir sind tot. Aber nein, es kommt anders, und es ist wirklich mal gerecht: Der Gig ist superklasse, punkig, laut, Zugaben über Zugaben. Die Leute haben schon gemerkt, was hier Sache ist. Wir kommen kaum mehr von der Bühne runter. Auch die Crew ist begeistert, was ja immer ein gutes Zeichen ist. Am Merchandising ist der Alkohol-Pegel ziemlich ordentlich. Die Leute wollen wissen, wie das so ist mit dem neuen wilden Osten und dass die gar nicht so doof wären, man hätte schon mal einen gesehen. Hm. Rauchen. Die Crew hat schon alles von der Bühne gezerrt, was Anlage ist, einpacken, einladen. Alles auf Video mit Kleinteilen, die Metallica-Karaoke machen, singen, tanzen und uns ihre Genitalien zeigen wollen, sich aber angesichts der Camera doch nicht trauen.

by Suse Michel

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