Rockstore und zweimal Neckermann

Der Typ aus Kiel, oder war´s Lübeck, rief wieder an. Scheiße. Ich dachte, er würde es nicht mehr tun, nachdem ich ihm geschrieben hatte, dass ich mit seiner Musik nicht anfangen könnte, aber blubber, blubber ... Tja, der Brief kam „unbekannt verzogen“ zurück. Also hatte ich jetzt am Telefon das Vergnügen, live, ich kann so was ja nicht leiden, weil ich selbst weiß, wie blöd sich so Absagen anhören. Als er sagt, „ihr kommt am Sonntag auch im Fernsehen, in MTV“, wache ich auf. Wie MTV? „Na ja, da lief so´n Trailer mit Paul King, der sagte die diversen Videos für 120-Minutes an, der hat euch angekündigt“. Geil, eigentlich nett, der Typ aus Kiel.

Wir proben abends. Den Hühnern erzähl´ ich´s natürlich auch gleich. Und Andreas und Quintus. Wir müssen also bisschen später losfahren nach Frankreich. Erst fernsehen. Es glaubt natürlich sowieso keiner. Mal sehen. Krishan, Andi und Sinisa sind auch nach der Probe bei mir. Quintus und Andreas kommen. Paul Kind sagt „and brandnew videos from the slääääägssss ....“. Gekreische. Er hat unseren Namen gesagt. Klasse. Das geht ungefähr zwei Stunden lang so. Immer wieder die Ankündigung. Dann in der letzten Viertelstunden von 120-Minutes endlich. Unser Video in MTV. Sieht schon geil aus mit dem MTV-Logo unten drin. Okay, die Luft ist raus. Wir können fahren.

Schnell noch einen Döner gekauft. Es ist schon halb zwölf. Wir müssen über 1000 Kilometer Richtung Montpellier fahren.

Morgens gegen 11.00 Uhr kommen wir an. Montpellier. Völlig durch und weich. Wir treffen uns mit Jean-Herve. Das erste Mal. Sind gespannt, wie er wohl aussieht. Bisschen wie Tarzan. Wir fahren in die Agentur. Vor Müdigkeit schlafe ich fast am Tisch ein. Ich will ins Bett. Conni will natürlich das Meer sehen. Wie immer. Aber wir sind ja in Frankreich, cool, da geht beides: Meer und Bett. Wir müssen erst um 20.00 oder 21.00 Uhr im Neckermann, wo wir am Abend spielen, Soundcheck machen. Neckermann ist lustig. So´ne alte Garage mit vielen Billardtischen und Aquarien mit komischen Wassertieren und vor allem die Hunde, zwei große und ein kleiner, der so verstaubt ist, dass er mal ´n Teppichklopfer vertragen könnte.

Trotzdem muss man den immer wieder anfassen. Andreas will ihn gleich mit einladen und mitnehmen. Na ja, erst mal müssen wir das Essen mit ihm teilen. Steak und Pommes Frites. Die Sonne knallt. Die Uhren laufen langsamer. Wir spielen, die Anlage ist scheiße, egal, es macht total Spaß. Der kleine Hund ohne Namen kommt immer wieder auf die Bühne. Beim Soundcheck hat er schon an Anjas Effektgeräte gepinkelt Ich glaube, sie hat´s nicht gesehen, und ich hab´ auch nichts gesagt.

Am nächsten Tag müssen wir früh nach Montpellier. Heute ist Rockstore angesagt. Radio-live-Mitschnitt. Ist ein Riesenclub, eigentlich ´ne Halle, super Technik, coole Stagehands, alles cool. Ich frage mich nur, warum wir so früh hier sein müssen. Alles dauert ewig lang. Die Stimmung ist gedrückt. Wir würden lieber am Meer liegen. Warten, warten, warten – ich hasse warten.

Aus Verzweiflung gehen wir Gassi in der Stadt. Schöne Stadt. Dass Menschen immer so wohnen dürfen. Frankfurt kommt mir immer so hässlich vor, wenn ich so was sehe.

Soundcheck. Radio-Interview. Essen. Nervös werden. Die Stimmung hellt sich nach dem Essen auf. Alles wird gut. Wenn die Garderobe reden könnte , von diesem Abend könnte sie ´ne Menge erzählen. Ich trete heute mit Connis Radlerhose (ich hoffe, es ist ´ne Radlerhose) auf dem Kopf auf. Der Gig ist klasse, macht total Spaß. Gut gespielt, trotz Radio, was ja immer nervt, wenn man dran denkt. Viel Bier getrunken hinterher, das Leben ist doch schön, Ach ja, Eric, bei dem wir wohnen, Gitarrist von Venus Lips, hat irgendwie Geburtstag oder so was und feiert am Strand ´ne Party. Nach wir also alle Groupies und Drogendealer sortiert haben, fahren wir zum Strand. Die Anlage lassen wir im Club, ist besser, sagt der Chef, hier wird nur geklaut. Na gut, Taschen und Äste ins Auto und weg. Bis morgen.

Am Strand ist gemütliches Rumsitzen und Trinken angesagt. Jeder hat irgendeinen Entertainer am Ohr.

Ich habe netterweise den Fremdenlegionär mit den klasse Asentattoos aus dem Chad und weiß der Himmel, der arbeitet im Neckermann und spricht deutsch. Sehr angenehm. Vor allem rettet der mich vor so ´nem Verrückten, so einer, der einen beim Reden immer angrapscht. Kann ich nicht leiden. Wir reden über Krieg, Unfälle, die Legion, pipapo, sehr interessant. Mittlerweile ist es wohl so 4.00 oder 5.00 Uhr früh, es dämmert schon. Sogar Conni will gehen. Der Legionär will am Strand pennen und nicht mehr Motorrad fahren. Ist auch besser so. Wir sehen uns morgen.

Am Bus. Andreas merkt, dass das kleine Seitenfenster kaputt ist. So eher beiläufig. Wir steigen ein. Wo ist meine Tasche. Anja sucht ihre Tasche. Alle fangen an zu suchen. Es gibt keine Taschen mehr. Schweinepriester. Wir müssen jetzt auch dran glauben – hier wird also wirklich geklaut. Auf einen Schlag wieder nüchtern fällt uns nach und nach ein, was alles weg ist: Connis Pille, was für Quintus das Schlimmste ist, Klamotten vom Gig, Make-up, Zahnbürsten, Fotoapparat, Sonnenbrillen, Geld, Ausweise, Schlüssel, Pässe usw. usw., alles, was halt in Taschen von vier Schabracken sich so ansammelt. Scheiße, scheiße, scheiße. Und das Schlimmste: Die Arschgeigen haben tatsächlich alle, alle, alle Fotos von der ganzen Tour seit März, was ungefähr 10 Päckchen waren, mitgenommen. E sist zum Heulen. Andreas` Managerkoffer ist glücklicherweise unter den Sitz gerutscht. Also, die Jungs haben mal bisschen Glück gehabt, bis auf Quintus, partiell.

Aber seit Verdun sind wir abgehärtet, und die Witze lassen nicht lange auf sich warten. Wir fahren in Erics Haus, was sollen wir sonst tun. Na ja, am nächsten Tag wieder im Neckermann spielen wir halt unplugged, haha, ohne Make-up, ungewaschen, ungekämmt – die Schabracken unplugged. Na bitte, für irgendwas wird´s schon gut sein. Warum fährt der Andreas nicht gescheit, so langsam, menno, ich bin müde. Der Sonnenaufgang hängt schon am Horizont. Das Benzin bzw. das Diesel ist alle. Na toll. Wir stehen also irgendwo in der Pampa, vielleicht halb sechs oder so, und wir haben keinen Sprit mehr.

Papa nimmt todesmutig den Ersatzkanister und verschwindet im Nichts. Wir schlafen. Erst als die Tür knallt, wachen wir wieder auf. Was ist los? Andreas war an ´ner Tankstelle, Kanister Diesel gecheckt, mit so ´nem Truckfahrer zurückgetrampt, der dachte, Andreas sei mit so ´nem rollenden Puff unterwegs, als er ihm die Autogrammkarte von uns gegeben hat und irgendwie die Geschichte erzählen wollte. Na ja, ich weiß auch nicht mehr so genau. Auf jeden Fall kam das Bett immer näher. Schwarzes Loch. Ende.

Wir suchen am nächsten Morgen den ganzen Strand ab, wenigstens auf 100 Metern. Natürlich keine Taschen, keine Fotos. Auf Bullen haben wir keinen Bock, das würde zu lange dauern, und die können eh nichts machen. Das passiert in Montpellier 200mal am Tag.

Wir kaufen eine Band-Zahnbürste, mieses Asen-Make-up, Kajal und so weiter, im Intermarché. Conni ersteht ein wirklich entzückendes Deodorant mit der Duftnote Clostein, was echte Begeisterung im Bus auslöst. Vielleicht hätte sie das am Abend zuvor im Bus liegen lassen sollen, hätte bestimmt jeden potentiellen Gauner abgeschreckt. Muss ich mir merken, gute Idee. Und als Verhütungsmittel taucht es bestimmt auch ...

Fällt mir noch ein, dass die Idioten sogar die beiden Gitarren und den Bass hinten im Bus übersehen haben, das hätte sich gelohnt. Na ja, besser ohne Make-up gespielt als ohne Äste. Danke, ihr Blödmänner.

Wir freuen uns auf Neckermann. Soundcheck. Essen. Mit den Hunden spielen. Klasse, kommen auch eigentlich ´ne Menge Leute abends, sehen auch gut aus. Klasse Gig, schön ein wenig gefeiert. Neckermann hat, glaube ich, einigen Ärger mit Guy, dem Fremdenlegionär. Der würde viel lieber mit uns feiern, muss aber arbeiten. Vielleicht gut so.

Am nächsten Tag laden wir früh ein. Neckermann und Guy sind auch da und die Hunde. Der kleine Arsch hat auf meinen Schlagzeugteppich gekackt. Reizend. Der war sowieso ziemlich alt, und edelmütig überlasse ich diesen erfahrenen Schlagzeugteppich dem Neckermann für Bands, die vielleicht keinen dabei haben.

by Suse Michel

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