Fahr zur Hölle, Liebling

"Slags" übersetzt mein Englisch-Lexikon mit "Schlacke" oder (familiär) "Feiglinge". Kurz und schnurz könnte man sagen: die "Slags" sind Sonder-Müll der pop-history: ganz schön giftig! Die Richtung ist klar: Die neuen girl-groups und mit ihnen die die Frauen Viererbande aus Frankfurt wollen nicht schön, sondern schmutzig sein - "L 7" und die Folgen! Die Härte dieser Musik ist nicht "Genre", hat zumindest nichts mit den Hardrock-Mustern der 70er und 80er Jahre zu tun. Wenn schon, dann sind die Sixties Bezugspunkt: der rauhe R´n´B, eine rohe street-Authentizität - und die psychedelische Abgedrehtheit der LSD-, "free love" - etc. Ära.

Selten habe ich eine kompetentere, faszinierendere Band in der Mälzerei gesehen: eine Rock-Band, die nicht in die Extreme einer auf die Dauer ödenden Ensemble-"Kompaktheit" oder nervender solistischer Exzesse verfällt; deren "straightness" sich vielmehr der geglückten Collage ausdifferenzierter, auch monomaner Einzelleistungen verdankt. Rock aus dem Bauch - und aus dem Baukasten.

Anja Krafts Bass ist immer und überall - und dabei doch herrlich reduziert und repetitiv. So wie das gelingende Leben selbst eben: Wieder-Holung, Ewigkeit der Lust usw. Die Gitarre der Regensburgerin und Ex-"Donkey Shot"-Debütantin Constanze Maly (was für eine Karriere!) ist mal feedback-nahes Rauschen, dann wieder ein torkelndes Zirpen, hoch oben an der Hörbarkeitsgrenze ... immer aber Stimme des Individuums, ex-zentrisch, revoltierend, nomadisch - und in erregender Weise "auf der Kippe". Auch Suse Michels drums sind frei von den üblichen Männer-Dummheiten in diesem Job, also dem Zuknüppeln, der Schwitzigkeit. Sie ist eine Minimalistin. Ihre beats kommen immer dann, wenn man sie nicht unbedingt erwartet - und doch strukturiert sie auf eine äußerst durchsichtige, packende Weise den Gruppen-Sound; findet sogar noch die Zeit für kleine Kommentare zu ihrem eigenen Spiel - und dem der anderen. Ihre Drums sind Blutpochen ... und Ironie. Eine Göttin, die tanzt. Rotzig und raffiniert ist die Musik der "Slags". Und purer Sex! Bine Morgenstern, knallenge schwarze Lederhose, Bauch frei, ein Gesicht, das Trotz und Versprechen ist!, schreit, kreischt, bellt, lockt ins Mikro ("go to hell!"), bewegt sich dazu in dem seltsamsten Tanz, den ich je gesehen habe und der nur einen Zweck hat: Körperlichkeit zu konstituieren, und ist dabei in fast allem eine Revenante der Zeit zwischen Janis Joplin und Patti Smith: "Bring mich durch die Nacht!". Daneben Conni Maly in Schlag-Jeans und Marianne Faithful-Mähne (o ewige Wiederkehr!) und Anja Kraft, die Unermüdliche, in sportiven Kniefrei-Jeans.

Und sehr viel später, des Nachts in Regensburg, das herrliche "Slags"-Album im Walkman-Ohr. "So what"! Allein diese langen Augenblicke rechtfertigen schon das Deutschland Sublabel "Dragnet" der Sony Corporation!

Helmut Hein "Die Woche", Regensburg

(1992)